Ein ganzes Jahrhundert hat Franziska Bless bereits erlebt und so gerne sie in Erinnerungen schwelgt, sie ist dabei auch immer offen für Neues geblieben. In ihrem Zimmer im Caritas-Zentrum Franz von Assisi schaut sie sich mit ihrer Tochter, Brunhilde Lichte, gerne Bilder oder Andenken an, daher stehen dort auch viele ihrer Souvenirs: Der Zeitungsartikel über den ersten Schützenfestbesuch mit 18, Bilder ihres verstorbenen Ehemannes, das Deko-Schiff "MS Franziska" vom letzten Sommerfest oder aber eine kleine Laterne, die die Kindergartenkinder des St. Antonius Kindergartens im Haempenkamp als Martinslichter im November für die Bewohner vorbeigebracht haben. Im Poesiealbum, das sie herausgeholt hat, stehen die Eintragungen alle noch in alter Sütterlinschrift. "Das kennt heute wahrscheinlich kaum noch jemand." lacht Franziska Bless. "Ach, ist das alles lange her."
Dass sie tatsächlich einmal 100 Jahre alt würde, damit hat Franziska Blech nie gerechnet. Geboren in Werl im Kreis Soest verlebte sie als ältestes von 6 Kindern eine unbeschwerte Kindheit, spürte aber auch den Schrecken des Krieges. Sie verlor ihren Verlobten und erlebte mit der "Operation Züchtigung" die Sprengung der Möhne-Talsperre. Nach der Ausbildung zur Krankenschwester lernte sie ihren Mann kennen. Eine der Nonnen im Krankenhaus erhielt Besuch von der Verwandschaft - ihr Mann gehörte dazu. Er arbeitete als Schlosser in Bochum unter Tage. Sie heiratete ihn, zog zu ihm und blieb nach der Geburt der Tochter Zuhause. Ehrenamtlich half sie anderen Familien, denen es nicht so gut ging wie ihr. Mit 32 Jahren stand ihr Leben dann nach einer schweren Operation auf Messers Schneide. "Damals habe ich die Krankensalbung erhalten." erzählt sie und ihre Tochter ergänzt: "Sogar die Ärzte sagten, dass nur noch Beten hilft." Der Glaube und das Gebet haben ihr oft Kraft gegeben und so zählt auch eine geschnitzte Madonna zu den Erinnerungsstücken auf dem Regal. Viel Kraft brauchte sie mit 97 Jahren, um sich von einem Oberschenkelhalsbruch zu erholen - auch da hat ihr Glaube sie gestärkt.
Seit gut sieben Jahren lebt sie im Wohnbereich der ersten Etage im Caritas-Zentrum Franz von Assisi. Ihre Tochter lebt fußläufig in einer Seniorenwohnung am Caritas-Zentrum und kommt ihre Mutter oft besuchen. Brunhilde Lichte war mit ihrem pflegebedürftigen Mann dort eingezogen, bevor er ins Caritas-Zentrum umzog. "Dass wir hier einen Platz bekommen haben, war für uns alle ein absoluter Glücksfall." Brunhilde Lichte konnte ihren Ehemann und ihre Mutter täglich besuchen. "Nach dem 99. Geburtstag meiner Mutter im vergangenen Jahr hatten wir schon einen Raum für dieses Jahr gebucht." erklärt Brunhilde Lichte, die in genau drei Wochen ebenfalls Geburtstag hat und 70 Jahre alt wird. "Gemeinsam wollten wir unseren 170. Feiern, der März war in unserer Familie immer der Feiermonat." Freunde und Verwandte sollten kommen, eine Tanzgruppe für Unterhaltung sorgen. Sogar der Neffe aus Thailand wollte dabei sein. Die Corona-Pandemie stellte jedoch alles in Frage. Dass die gemeinsame Feier nicht wie geplant verlaufen würde, wurde dann Ende November zur Gewissheit, als der Ehemann von Brunhilde Lichte verstarb.
Mutter und Tochter wollen den Geburtstag trotzdem zu einem besonderen Tag werden lassen. Im Wohnbereich wird es ein festliches Kaffeetrinken geben und der ein oder andere Besucher hat sich ebenfalls schon angekündigt. Franziska Bless wünscht sich, bald wieder mit allen Bewohnern in der Kapelle des Caritas-Zentrums Gottesdienst feiern zu können, momentan finden diese nur mit begrenzter Teilnehmerzahl statt. Hinsichtlich der großen Feier bleibt sie ganz bescheiden. "Klein aber fein ist doch auch schön. Hauptsache, wir bleiben gesund."